Coronavirus: Der Kampf um Tirol

Bild: ORF

In diesen Tagen blickt ganz Europa auf Tirol. In diesem österreichischen Bundesland entscheidet sich gerade die Zukunft der Pandemie.

Tirol ist jene Region in der Welt, in der sich die südafrikanische Variante des Coronavirus inzwischen am stärksten ausgebreitet hat. Es gibt hier derzeit um die 300 Infektionen dieser Variante. (In Großbritannien gibt es um die 100, bei rund 90 mal größerer Bevölkerungszahl.) Genaue Zahlen sind schwer zu erfassen, darüberhinaus ändern sie sich jeden Tag.

Fest steht jedenfalls, dass die südafrikanische Variante weit infektiöser ist als das ursprüngliche Coronavirus. Viel gefährlicher ist jedoch, dass die bisher entwickelten Impfstoffe, insbesondere jener von AstraZeneca, nicht mehr vor dieser Variante schützen könnten. Die Republik Südafrika selbst hat daher den Impfstoff von AstraZeneca am Sonntag ausgesetzt.

Die südafrikanische Variante wurde offenbar nach den Weihnachtsferien von Tiroler Urlaubern in ihre Heimat eingeschleppt und breitete sich dort in der Zwischenzeit dramatisch aus. Im Vergleich zu den rund 300 Infektionen in Tirol gab es im Rest von Österreich gestern nur 9. Nun ist auf offener Bühne ein Kampf entbrannt, wie man damit umgehen soll.

Während die österreichische Bundesregierung bestrebt ist, die Ausbreitung der südafrikanischen Variante mit allen Mitteln zu stoppen, wehrt sich die Tiroler Landesregierung mit allen Mitteln dagegen. Die österreichische Bundesregierung wollte insbesondere den bisher bestehenden bundesweiten Lockdown in Tirol verlängern und die Reisetätigkeit von und nach Tirol beschränken.

In der Nacht zum Sonntag kam es zum offenen Konflikt. Eine Einigung konnte nicht erzielt werden, der Lockdown wurde nicht verlängert. Statt dessen sprach man in Tirol – unverbindliche – Empfehlungen aus, was von Wien mit einer – ebenso unverbindlichen – Reisewarnung gegen das eigene Bundesland beantwortet wurde.

Hinter dem Konflikt zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Tiroler Landesregierung steht eine grundsätzliche Auseinandersetzung. Es ist nicht nur ein Konflikt Hauptstadt gegen Provinz, Osten gegen Westen, und Gesundheit gegen Wirtschaft. Es ist ein Konflikt Sicherheit gegen Freiheit.

Während sich die österreichischen Bundespolitiker in der östlichen Hauptstadt Wien der Gesundheit der Gesamtbevölkerung verpflichtet sehen, stehen die Tiroler Landespolitiker in der westlichen Provinz Tirol für die wirtschaftlichen Interessen des eigenen Landes. Wien versucht, mit allen Mitteln Sicherheit zu garantieren, während Tirol mit allen Mitteln für die Freiheit kämpft.

Auf der ganzen Welt stehen wir angesichts der Pandemie des Coronavirus vor demselben Problem: Wieviel Freiheit ist uns unsere Sicherheit wert? Wieviel Wirtschaft sind wir bereit, für unsere Gesundheit zu opfern?

Im Osten der Welt, mit der Volksrepublik China im Zentrum, wird die Sicherheit groß geschrieben und dieser Sicherheit im Zweifel alles untergeordnet. Im Westen der Welt, mit den Vereinigten Staaten von Amerika im Zentrum, wird die Freiheit groß geschrieben und dieser Freiheit im Zweifel alles untergeordnet. In der Mitte der Welt, mit der Europäischen Union im Zentrum, versucht man, beides zu verbinden. In der Mitte dieses Zentrums, in Österreich, zeigt sich, wie schwierig ein solcher Ansatz ist. Und gerade jetzt drohen wir daran zu scheitern.

Wir werden erst dann erfolgreich sein, wenn wir erkennen, dass Freiheit nur in Sicherheit möglich ist, dass unsere “Wirtschaft” unsere “Gesundheit” voraussetzt und dass es dem Einzelnen nur dann gut gehen kann, wenn es den Anderen auch gut geht. Der kurzfristige eigene Vorteil kann nur erzielt werden, wenn langfristig alle einen Vorteil daraus ziehen. Was nützt es den Tiroler Tourismusbetrieben, wenn die Touristen krank zu Hause bleiben?

Ich fürchte, für dieses mal ist es zu spät. Die südafrikanische Variante wird sich durchsetzen, die Pandemie des Coronavirus um ein Jahr verlängert.

Schade.

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