„Ich werde heute irgendetwas tun.“
nach einem Satz von Dietmar Schoder
und einem Bild von Roman Picha
– möglicherweise zur Musik von Richard Pfadenhauer
(Siebtes Bild von 12)
Für meinen Freund Christoph Rieger
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Ein Tisch im Himmel.
Wilhelm Furtwängler, Erich Kleiber, Otto Klemperer und Bruno Walter sitzen zur Jause.
Kleiber: „Wer setzt heute ein?“
Walter: „Womit?“
Kleiber: „Mit dem Gespräch.“
(Schweigen.)
Walter: „Meinetwegen ich.“
Kleiber: „Meinetwegen.“
Klemperer: „Meinetwegen.“
Walter: „Also gut.“
Kleiber: „Also gut.“
Walter: „Am Vormittag war ein unglaubliches Gedränge beim Bäcker.“
Kleiber: „Letzten Freitag im Hallenbad auch.“
Walter: „Es hat gar keine Croissants mehr gegeben.“
Kleiber: „Ich nehme nur noch Ciabatte.“
Walter: „Was machst Du im Hallenbad?“
Kleiber: „Ich war mit meinem Sohn schwimmen.“
Walter: „Und wie war es?“
Kleiber: „Ein entsetzliches Gedränge. Carlos wollte rückenschwimmen. Es war unmöglich.“
Walter: „Ich schwimme meist Brust.“
Kleiber: „Dann sind wir mit der U-Bahn zurückgefahren. Dichtgedrängt und heiß.“
Walter: „Die U-Bahn wird immer voller.“
Kleiber: „Wahrscheinlich wegen der günstigen neuen Jahreskarte.“
Klemperer: „Ich brauche keine Jahreskarte. Ich gehe nur noch zu Fuß.“
Kleiber: „Das wird dem Kind zu viel.“
Walter: „Ich gehe auch oft zu Fuß. Am Wochenende in den Wald.“
Kleiber: „Wir haben keine Zeit dazu. Jetzt kommen die ersten Schularbeiten.“
Walter: „Was ist Carlos’ Lieblingsfach?“
Kleiber: „Chemie.“
Walter: „Ich hatte Deutsch immer am liebsten. Und Du?“
Kleiber: „Ich auch Chemie.“
Klemperer: „Geometrie.“
Kleiber: „Der Bub schläft derzeit so unruhig.“
Walter: „Wieso?“
Kleiber: „Wahrscheinlich wegen der Schularbeiten.“
Walter: „Gib ihm doch Fruchtsaft vor dem Einschlafen.“
Kleiber: „Glaubst Du, das hilft?“
Walter: „Mir hat das immer geholfen.“
Klemperer: „Ich brauche keinen Fruchtsaft. Ich schlafe auch so gut.“
Walter: „Seit letzter Woche gibt es einen neuen Pizzateig.“
Kleiber: „Ich weiß, der ist sehr gut.“
Walter: „Der wird sehr flaumig bei Oberhitze.“
Kleiber: „Ich weiß. Ist aber teuer.“
Walter: „Aber der Mozzarella verschmilzt so gut.“
Kleiber: „Ich weiß. Und auch die Tomaten.“
Walter: „Ich nehme nur noch spanische. Die halten am längsten.“
Kleiber: „Ich weiß.“
Walter: „Fast drei Wochen im Kühlschrank.“
Klemperer: „Ich brauche keinen Kühlschrank. Ich koche kaum noch selbst.“
Kleiber: „Der Carlos isst fast kein Fleisch mehr.“
Walter: „Das ist gut. Du könntest ihm auch Bulgur geben.“
Kleiber: „Ich weiß, aber das kann ich nicht zubereiten.“
Walter: „Doch, doch. Das ist ganz einfach. Ich zeige es Dir, wenn Du willst.“
Kleiber: „Ja, gerne. Komm’ doch nächste Woche vorbei.“
Walter: „Bei mir in der Nähe gibt es ein neues Schuhgeschäft.“
Kleiber: „Ich weiß, ich habe davon gehört.“
Walter: „Gleich neben der Lederhandlung.“
Klemperer: „Ich brauche keine Schuhe. Ich habe genug.“
Walter: „Ich habe mir welche für den nächsten Urlaub gekauft.“
Kleiber: „Sandalen?“
Walter: „Ja.“
Kleiber: „Ich brauche übrigens einen Installateur.“
Walter: „Ich kann Dir meinen sehr empfehlen.“
Kleiber: „Gibst Du mir seine Nummer?“
Walter: „Ich habe sie nicht dabei. Ruf’ mich zu Hause an.“
Klemperer: „Ich brauche keinen Installateur. Gott sei Dank.“
Kleiber: „Ich habe jetzt auch ein Smartphone.“
Walter: „Ich auch, aber ich kann es nicht bedienen.“
Kleiber: „Carlos hat mir gezeigt, wie es geht.“
Walter: „Vielleicht kann er es mir ja auch beibringen.“
Kleiber: „Sicherlich. Ich werde ihn fragen.“
Klemperer: „Ich brauche kein Smartphone. Ich brauche überhaupt kein Telefon.“
Walter: „Was hast Du für einen Tarif?“
Kleiber: „Flatrate.“
Walter: „Ist das ‘unlimited’?“
Kleiber: „Ich glaube schon.“
Walter: „Letztens habe ich einen eingeschriebenen Brief bekommen.“
Kleiber: „Von wem?“
Walter: „Vom Finanzamt.“
Kleiber: „Und?“
Walter: „Der Briefträger ist nicht einmal zu mir gekommen, obwohl ich zu Hause war.“
Kleiber: „Das ist mir auch schon passiert. Das wird immer schlimmer.“
Walter: „Ich habe mich bei der Postamtsleitung beschwert.“
Kleiber: „Das ist gut.“
Walter: „Ich kann die Telefonkosten nicht mehr von der Steuer abziehen.“
Kleiber: „Wirklich?“
Walter: „Ja. Mein Steuerberater nimmt sie nur noch zu einem Drittel hinein.“
Kleiber: „Das ist unerhört.“
Walter: „Sind Toscanini und Karajan noch immer in der Sauna?“
Kleiber: „Ich denke schon.“
Walter: „Das muss ja fürchterlich sein.“
Kleiber: „Ja.“
Walter: „Wir könnten ein gutes Wort für sie einlegen.“
Kleiber: „Nein.“
Klemperer: „Nein.“
(Schweigen.)
Walter: „Verwendest Du eigentlich Weichspüler?“
Kleiber: „Für die Wäsche?“
Walter: „Ja.“
Kleiber: „Nur zur Wolle.“
Walter: „Ich habe gehört, dass das der Wäsche nicht gut tut.“
Kleiber: „Ich weiß. Ich tue es trotzdem.“
Walter: „Ich wasche die Buntwäsche jetzt mit der Kochwäsche gemeinsam.“
Kleiber: „Hast Du eine Waschmaschine?“
Walter: „Ja. Mit Vorwaschprogramm.“
Klemperer: „Ich brauche keine Waschmaschine.“
Kleiber: „Wo kaufst Du Deine Anzüge?“
Walter: „In der Innenstadt. Und Du?“
Kleiber: „Auch in der Innenstadt.“
Klemperer: „Ich brauche keine Anzüge.“
Kleiber: „Und Deine Plattenspieler?“
Walter: „Im Einkaufszentrum.“
Klemperer: „Ich brauche keine Musik.“
Kleiber (zu Furtwängler): „Du sagst ja gar nichts.“
Furtwängler: „Ja. Ich weiß.“
(Die Sonne kommt hinter den Wolken hervor. C-Dur Dreiklang. Vorhang.)
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